Zugvögel und Windparks

Untersuchungen zum Vogelzug im Bereich der Deutschen Bucht – wie groß ist das Konfliktpotential mit Offshore-Windparks?

Avitec Research GbR

In der Deutschen Bucht sind bisher außerhalb der 12 Seemeilenzone über zwanzig Windparks durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) genehmigt worden. Bis heute sind zwar erst wenige Windenergieanlagen (WEA) offshore in Betrieb gegangen, aber in mehreren möglichen Ausbaustufen könnten sich einmal mehrere tausend WEA in der Deutschen Bucht drehen.

Der Bereich der südlichen Nordsee ist zugleich ein zentrales Drehkreuz des ostatlantischen Zugsystems paläarktischer Vögel. Der größte Teil des Vogelzuges findet dort überwiegend nachts unter dann eingeschränkten Sichtbedingungen statt.

In diesem Zusammenhang sollen mehrere durch das Bundesumweltministerium finanzierte Forschungsvorhaben die Fragen beantworten, ob der Bau und Betrieb von Offshore-Windparks negative Auswirkungen auf Zugvögel bei ihrem Flug über die Deutsche Bucht haben wird: Kommt es zu Kollisionen oder Barriere-Effekten?

Die überwiegend lückenlose Erfassung des Vogelzuges, wie sie seit Herbst 2003 auf FINO1 und seit Sommer 2009 auch auf FINO3 unter Einsatz technischer Erfassungsmethoden betrieben wird, liefert überaus wertvolle Erkenntnisse über den Vogelzug im Bereich der Deutschen Bucht. Eine Kombination verschiedener Fernerkundungsmethoden (unterschiedliche Radar-, Wärmebild-, Video- und Audiosysteme) ermöglicht die rechnergestützte Erfassung des Vogelzuges rund um die Uhr und das ganze Jahr über. Zur fundierten Bewertung und Beantwortung dieser Fragen werden das tages- und jahreszeitliche Vorkommen von Vögeln inklusive ihrer Artenzusammensetzung, Individuenzahlen, Höhenverteilung und Zugrichtung sowie Details zum allgemeinen Zugverhalten unter bestimmten Wetterbedingungen aufgenommen. Unerlässlich ist zudem die Dokumentation von Verhaltensweisen der Vögel, wie z.B. Ausweichbewegungen an anthropogenen Bauwerken und Reaktionen auf deren nächtliche Beleuchtung, sowie eine detaillierte Registrierung von Totfunden auf FINO1.

Zur Erhebung dieser Daten wurden folgende Geräte installiert:

Ziel der Untersuchung ist eine realistische Einschätzung des Konfliktpotenzials zwischen Offshore-Windparks und über das Meer ziehenden Vögeln, um ggf. Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen wie Abschaltkonzepte in Massenzugnächten oder die Verwendung möglichst vogelfreundlicher Sicherheitsbeleuchtung entwickeln zu können.

Ergebnisse

Zwei bereits abgeschlossene Forschungsprojekte des Instituts für Vogelforschung "Vogelwarte Helgoland" und die derzeit laufenden Forschungsarbeiten von Avitec Research GbR im vom BSH koordinierten und beauftragten Teilprojekt "Ökologische Begleitforschung - Testfeldforschung zum Vogelzug" der RAVE-Forschungsinitiative sowie dem FINO3-Projekt erbrachten kurz zusammengefasst folgende Ergebnisse: Vogelzug findet im Offshore-Bereich das ganze Jahr über statt, wobei die Höhe der geplanten WEA häufig beflogen wird. In Zugnächten mit schlechter Sicht und Gegenwind wird dieser Höhenbereich besonders oft genutzt. Die Intensität des Vogelzuges variiert von Tag zu Tag, zwischen den Jahreszeiten mit den Hauptzugzeiten Frühjahr und Herbst und von Jahr zu Jahr stark, ist aber großräumig korreliert mit einer Konzentration auf wenige Tage bzw. Nächte je Zugperiode. Das Artenspektrum von Tag- und Nachtziehern sowie von nahrungssuchenden Vögeln ist überraschend groß. Vor allem bei Tagziehern nimmt die Zugintensität nach See hin ab. Die Plattform selbst zieht tags und nachts Vögel zur Rast an, was offensichtlich bei ungünstigen Wetterlagen zu Kollisionen geführt hat.

Totfundregistrierung

Totfund eines Rotschwanzes
Totfund eines Rotschwanzes

Im Zuge der Totfundregistrierung werden die auf FINO1 gefunden Vogelkadaver fotografisch dokumentiert (s. Abb.) und auf Artniveau bestimmt. Alter, Geschlecht und Körperkonditionsparameter wie z.B. Muskel- und Fettindizes sowie äußerlich sichtbare Verletzungen werden wenn möglich durch erfahrenes Personal aufgenommen.

Insgesamt sind seit Beginn der Datenerhebung auf FINO1 im Herbst 2003 bisher (Stand: Februar 2011) 1.002 tote Vögel (davon ca. 500 Funde nach 4 Kollisionsnächten im Oktober 2003 und 2004 sowie im November 2006 und 2010) aus 43 taxonomischen (Arten-) Gruppen gefunden worden. Den weitaus größten Anteil betroffener Arten stellen Drosseln mit insgesamt ca. 70 %.

Radarerfassung

Per Radar lassen sich Zugintensitäten in verschiedenen Höhen sowie Zugrichtungen erfassen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Vogelzug nicht gleichmäßig, sondern in Phasen stärkerer und schwächerer Intensitäten rund um das Jahr stattfindet. Auch in den Hauptzugzeiten im Frühjahr und Herbst ist die Zugintensität wetterbedingt von Tag zu Tag höchst variabel.

Ruferfassung

Seit Beginn der Datenerhebung wurden rund 120 rufende Arten bzw. Vertreter taxonomischer Gruppen identifiziert. Untersuchungen einzelner Zugperioden wiesen in der Regel Amsel, Rotdrossel, Singdrossel, Sturmmöwe, Wacholderdrossel, Star, Rotkehlchen, Lachmöwe, Feldlerche, Buchfink und Wiesenpieper als regelmäßig auftretende Hauptarten auf.

Videokamera

Die Bilder der Videokamera liefern alle fünf Minuten ein aufsummiertes Bild aus einer Bildfolge von etwa 10 Bildern pro Sekunde. Hierbei konnten in der Regel Vogeltracks einzelner Tiere, z. T. aber auch mehrerer Vögel pro Bild aufgenommen werden. Flogen die Tiere nahe genug an der Kamera vorbei, war unter Umständen eine Identifikation möglich. Auch einzelne Ausweichbewegungen ließen sich nachzeichnen.

Wärmebildkamera

Ähnlich wie die Videobilder, liefert die Stereo-Wärmebildkamera in fünf-minütiger Auflösung ein aufsummiertes Bild aus einer zuvor aufgezeichneten Bildfolge. Trotz einiger Limitationen durch den Erfassungswinkel und der optischen Auflösung der Wärmebildkamera, erwies sich diese Methode als besonders geeignet zur Detektion nah an der Plattform fliegender Vögel.

Die Summe der Ergebnisse lässt folgende Schlussfolgerungen und Ausblicke zu:

  • Windparks sollten möglichst küstenfern errichtet werden.
  • Nur langjährige kontinuierliche Datenreihen an Referenzstationen können das komplizierte Phänomen Vogelzug hinreichend genau erfassen, stichprobenartige UVS-Daten sind nur im Vergleich dazu aussagekräftig.
  • Noch immer offene Fragen zu Wettereinflüssen auf Zugverlauf, Flugverhalten und Kollisionen lassen sich nur durch Weiterentwicklung der bestehenden Methoden und vertiefende Untersuchungen beantworten.
  • Sicherheitslampen mit geringer Attraktionswirkung auf Vögel müssen entwickelt und verwendet werden.
  • Ein noch zu entwickelndes Frühwarnsystem könnte in Massenzugnächten mit niedrigen Zughöhen eine Abschaltung der Anlagen auslösen.

Die Untersuchungen von Avitec Research GbR sind Teil des Forschungsvorhaben „Ökologische Begleitforschung am Offshore-Testfeldvorhaben „alpha ventus“ zur Evaluierung des Standarduntersuchungskonzeptes des BSH – StUKplus“ des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie, und werden mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages unter dem Förderkennzeichen 0327689A gefördert. Die ökologische Begleitforschung ist Teil der Forschungsinitiative „Research at alpha ventus“.

Berichte

Der Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben "Testfeldforschung zum Vogelzug am Offshore-Piltopark alpha ventus und Auswertung der kontinuierlich auf FINO1 erhobenen Daten zum Vogelzug der Jahre 2008 bis 2012" (FKZ 0327689A/Avitec1 und 0327689A/Avitec2) für den Projektzeitraum 01.07.2008 - 31.08.2013 steht hier zum Download bereit:

Abschlussbericht herunterladen

Testfeldforschung zum Vogelzug am Offshore-Piltopark alpha ventus und Auswertung der kontinuierlich auf FINO1 erhobenen Daten zum Vogelzug der Jahre 2008 bis 2012

[PDF, 18,1 MB]

Veröffentlichungen

Publikationen / Fachgutachten / Berichte in Auswahl

  1. Aumüller R., Boos K., Freienstein S., Hill K., Hill R. (2011) Beschreibung eines Vogelschlagereignisses und seiner Ursachen an einer Forschungsplattform in der Deutschen Bucht. Vogelwarte, 49: 9-16 (im Druck)
  2. Freienstein S., Aumüller R., Boos K., Hill K., Hill R. (2010) Massenkollision im Rotlichtmilieu? Vogelwarte, 48: 341-342. Bericht über die 143. Jahresversammlung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) auf Helgoland, 29.9. – 3.1.2010
  3. Hill R., Hill K., Hüppop K., Hüppop O. (2010) Vogelzug über der Deutschen Bucht – gibt es Konflikte mit Offshore-Windparks? Vogelwarte, 48: 336-337. Bericht über die 143. Jahresversammlung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) auf Helgoland, 29.9. – 3.10.2010
  4. Hüppop K., Dierschke J., Dierschke V., Hill R., Jachmann F., Hüppop O. (2010): Phänologie des "sichtbaren" Vogelzugs über der Deutschen Bucht. Vogelwarte 48: 181-267.
  5. Hüppop, O., Hill, R., Jachmann, F. & Hüppop, K. (2009): Auswirkungen auf den Vogelzug – Begleitforschung im Offshore-Bereich auf Forschungsplattformen in der Nordsee „FINOBIRD“. Abschlussbericht im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), 278 Seiten
  6. Hill R., Hüppop O. (2008): Birds and Bats: Automatic Recording of Flight Calls and their Value for the Study of Migration. In: Frommelt, K.-H., R. Bardeli & M. Clausen (eds.) Computation bioacoustics for assessing biodiversity. Proceedings of the International Expert meeting on IT-based detection of bioacoustical patterns, December 7th until December 10th, 2007 at the International Academy for Nature Conservation (INA) Isle of Vilm, Germany. BfN-Skripten 234:135-141.
  7. Hill R, Hüppop O (2007): Methoden zur Untersuchung des Vogelzuges. In: Morkel L, Toland A, Wende W, Köppel J (Hrsg.): Tagungsband 2.Wissenschaftstage des Bundesumweltministeriums zur Offshore-Windenergienutzung am 20. und 21. Februar 2007 in Berlin: 152-160.
  8. Hüppop K., Dierschke J., Hill R., Hüppop O., Jachmann F. (2007): Sichtbarer Vogelzug über der südöstlichen Nordsee: I) Phänologie ausgewählter Arten bei Sylt, Helgoland und Wangerooge. Vogelwarte 45: 332-333.
  9. Hüppop O., Hill R. (2007): Vogelzug über der Nordsee. In: Morkel L, Toland A, Wende W, Köppel J (Hrsg.) Tagungsband 2.Wissenschaftstage des Bundesumweltministeriums zur Offshore-Windenergienutzung am 20. und 21. Februar 2007 in Berlin: 35-40.
  10. Hüppop O, Hill R., Hüppop K., Jachmann F. (2007): Sichtbarer Vogelzug über der südöstlichen Nordsee: II) Vorhersagemodelle für den Gänsezug bei Helgoland. Vogelwarte 45: 334-335.
  11. Wendeln H., Liechti F., Hill R., Hüppop O., Kube J. (2007): Sind Schiffsradargeräte für quantitative Vogelzugmessungen geeignet? - Ein Vergleich mit dem Zielfolgeradar "Superfledermaus". Vogelwarte 45: 336-337.
  12. Hüppop O., Dierschke J., Exo K-M., Fredrich E., Hill R. (2006): Bird migration studies and potential collision risk with offshore wind turbines. Ibis 148: 90-109.
  13. Hüppop O., Dierschke J., Exo K-M., Fredrich E., Hill R. (2006): Bird migration and offshore wind turbines. In: Köller J, Köppel J, Peters W (eds.) Offshore Wind Energy. Research on Environmental Impacts. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
  14. Hüppop, O., Dierschke, J., Exo, M., Fredrich, E., & Hill, R. (2005): AP1 Auswirkungen auf den Vogelzug. In: Orejas, C., Joschko, T., Schröder, A., Dierschke, J., Exo, M., Fredrich, E., Hill, R., Hüppop, O., Pollehne, F., Zettler, M.L. & Borchert, R.: Ökologische Begleitforschung zur Windenergienutzung im Offshore-Bereich auf Forschungsplattformen in der Nord- und Ostsee (BeoFINO) - Endbericht Juni 2005, Bremerhaven: 7-160

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